"Mein Leben"
Resonanz und Entstehung - Eine Rezension - Hinweise - Verfilmung Am 15. August 1999 erschien Reich-Ranickis Autobiografie "Mein Leben". Die Resonanz auf das Buch war überwältigend. Die zahlreichen und ausführlichen Rezensionen, die zum Teil schon vor der Auslieferung des Buches erschienen, zeigten sich zum größten Teil beeindruckt und begeistert. Selbst chronische Gegner des Kritikers bezeugten ihren Respekt. Sieben Wochen nach dem Erscheinen stand das Buch auf Platz eins aller Bestsellerlisten im deutschsprachigen Raum. Mehr als 200 000 Exemplare waren bereits verkauft, Übersetzungsrechte nach Polen, Spanien und Großbritannien vergeben. Die Zahl der aufgelegten Hardcover-, Buchclub-, Taschenbuch- und Hörbuchexemplare hat im Jahr 2003 die Millionengrenze überschritten. Das Buch wurde wurde inzwischen in achtzehn Sprachen übersetzt. Im Juli 2008 begannen die Dreharbeiten zur Verfilmung von "Mein Leben" für den WDR. Produzentin ist Katharina Trebitsch, Regie führt Dror Zahavi, Reich-Ranicki wird von Matthias Schweighöfer gespielt. Sendetermin: 15. April 2009. Der Erfolg verdankt sich in diesen Dimensionen zweifellos Qualitäten dieser Autobiografie und mentalen Dispositionen des Publikums, wurde jedoch auch durch etliche günstige Umstände positiv beeinflusst: durch die Prominenz des Autors und durch das soziale Kapital, das ihm zur Verfügung stand. Viele einflussreiche Personen, die ihm nahe standen, haben zum Erfolg der Autobiografie beigetragen. Frank Schirrmacher, der für das Feuilleton verantwortliche Mitherausgeber der FAZ, war der erste, der das Buch der Öffentlichkeit vorstellte, als er am 31. Juli 1999 einen Vorabdruck der ersten Teile in der eigenen Zeitung ankündigte. In der "Frankfurter Allgemeinen" erschien am 2. Oktober darüber hinaus eine große Besprechung von Ruth Klüger. Ihre eigene Autobiographie, „weiter leben“, hatte erst 1992 nach der Besprechung im „Literarischen Quartett“ die verdiente Publizität erlangt. In der Zürcher "Weltwoche" hatte zwei Wochen zuvor schon die mit Reich-Ranicki befreundete Klara Obermüller eine Rezension publiziert, im „Focus“ Stephan Sattler, der in der „Danksagung“ des Buches genannt ist. Im "Spiegel" und in der "Zeit" rezensierten allerdings nicht seine ehemaligen Mitarbeiter Volker Hage und Ulrich Greiner das Buch, sondern andere. Iris Radisch, die zu dieser Zeit noch nicht im "Literarischen Quartett" mitdiskutierte, fasste die einnehmende Wirkung, die große Teile des Buches nicht nur auf die meisten Rezensenten, sondern auf viele andere Leser ausübte, in ein von Lessings Ringparabel geprägtes Bild, das der Autobiograf selbst mehrfach verwendet. "Sein Leben lang, bekennt Reich-Ranicki, habe er sich vergeblich nach dem Ring gesehnt, von dem der weise Nathan erzählt, er habe die geheime Kraft, denjenigen vor Gott und Menschen angenehm zu machen, der ihn in dieser Zuversicht trage. Vielleicht hat er diesen Ring jetzt gefunden. Er ist, was sonst, aus Papier. Er ist, was sein Schöpfer am meisten auf der Welt liebt: ein Roman, der Roman seines Lebens." (Die Zeit, 19.8.1999) Fast alle Rezensenten sind sich darüber einig: Das Kapitel über das Warschauer Getto ist das eindrucksvollste. "Der nüchterne, unsentimentale, abgerundete und beinahe versöhnte Ton, in dem hier Ungeheuerliches berichtet [...] wird, ist auch ein literarisches Meisterstück." (Radisch) Hohe literarische Qualitäten bescheinigen auch andere Besprechungen dem Buch. Der Kritiker und Publizist sei mit ihm zum Schriftsteller geworden. Und als Schriftsteller zeige er sich von einer ganz anderen Seite als sonst. Das Buch, so formulierten es zuerst die Rezensenten im "Spiegel" (9.8.1999), "ist alles andere als lautstark und vollmundig: Es ergreift durch die tonlose Stille des Entsetzens, durch subtile Andeutungen, polemisches Verschweigen, durch Lakonik und Zärtlichkeit. Der Herr der Bücher, der viel gescholtene Literatur-Wüterich zeigt sich schwach, oft selbstkritisch und beinahe sprachlos, als unterläge er dem eigenen Leben." Der Rezensent der "Frankfurter Rundschau" (19.8.1999), der "das instinktgeleitete Geblubber" des "Literarischen Quartetts" und die "Hammer- und Amboss-Technik" des Kritikers rügt, konzediert: "Dennoch ist diese Autobiographie ganz anders." Zuvor schon hatte die Besprechung im "Focus" (16.8.1999) bemerkt: "Seine Memoiren zeigen einen bisher öffentlich so nicht gekannten Reich-Ranicki. Als ob er seine letzte Karte ausspielen wollte, präsentiert sich der Autor als jemand, der bislang verkannt wurde, weil man seine Geschichte als Ganzes, mit ihren Höhen und Tiefen, nicht wahrgenommen hatte." Ganz so neu, wie es vielen schien, waren die Inhalte und Töne der Autobiographie jedoch nicht. Zwar gibt es kein anderes Buch von ihm, das so umfangreich ist. Und es ist eines der wenigen Bücher von ihm, das nicht eine Zusammenstellung schon anderweitig publizierter Artikel bietet. In vielen Passagen hat der Autor aber wörtlich oder nur geringfügig verändert übernommen, was schon vorher in diversen Aufsätzen, gedruckten Gesprächen oder Vorträgen zu lesen war. Reich-Raniki hat es allerdings diesmal so ergänzt, überarbeitet und zu einem großen Ganzen komponiert, dass dem Buch die unterschiedlichen Bestandteile, die in diese Lebensgeschichte eingegangen sind, kaum noch anzumerken sind. Das meiste hat er, der ein phänomenales Gedächtnis besitzt, aus der Erinnerung niedergeschrieben, gestützt auch auf Erinnerungen seiner Frau. Mit Archivstudien musste er ihnen nicht nachhelfen. „Meine Erinnerungen an das Warschauer Ghetto“, so erklärte er in einem „Spiegel“-Interview (22.5.2000), „habe ich allerdings überprüft, indem ich sie mit einer wissenschaftlichen Studie zum Thema verglich.“ (WL 299) Ein Tagebuch hat Reich-Ranicki nie geführt. Tagebuchähnliche Aufzeichnungen standen ihm nur ganz wenige zur Verfügung. Über fünf Jahre hinweg hat er daran gearbeitet, drei Jahre davon kontinuierlich und intensiv, Jahre, in denen eine lebensbedrohliche Krankheit die Konzentration darauf oft schwer machte. Immer wenn man ihn, noch Anfang der neunziger Jahre, drängte, seine Autobiografie zu schreiben, reagierte er eigentümlich wortkarg und abwehrend. Reich-Ranicki hat das begründet – in der seine Autobiografie abschließenden „Danksagung“: Er habe Angst gehabt. „Ich wollte nicht das Ganze noch einmal in Gedanken erleben. Überdies fürchtete ich, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein.“ Die Autobiografie gibt an, 1993 habe er sich entschlossen, sein Leben darzustellen. Dies ist vermutlich eine falsche Datierung, die von einem der Anlässe ablenkt, denen sich die Autobiografie verdankt. (siehe dazu mehr in Thomas Anz: Marcel Reich-Ranicki. München: dtv 2004) Reich-Ranicki hat später in Gesprächen auf mehrere Ereignisse hingewiesen, die ihn dazu motivierten, seine Autobiografie zu schreiben: Als er am 1. März 1994 bei einem Essen mit Helmut Karasek und dessen Frau im Anschluss an die deutsche Uraufführung des Filmes „Schindlers List“ über die eigenen Erfahrungen im Warschauer Getto erzählte, habe Karasek ihn an diesem Abend nachhaltig ermuntert, das alles aufzuschreiben. Und bei der Vorbereitung seiner Rede „Über das eigene Land“, die er am 13. November 1994 in den Münchner Kammerspielen hielt, habe er dann bemerkt, dass ihm das Schreiben über die Zeit in Warschau keineswegs so schwer fiel, wie er immer befürchtet hatte. Die Rede hatte eine enorme Resonanz. Und mit ihr legte der den Grundstein zu seiner Autobiografie. Weite Teile der Rede sind wörtlich in sie eingegangen. Wenige Wochen nach der Rede, Anfang Dezember 1994, unterzeichnete er den Verlagsvertrag. TA Resonanz und Entstehung - Eine Rezension - Hinweise - Verfilmung Eine Rezension von 1999 aus literaturkritik.de: Sein LebenMarcel Reich-Ranickis späte AutobiographieVon Thomas Anz(literaturkritik.de Jg.2, 1999, Nr. 11) Zu "Mein Leben" veröffentlichte "Die Welt" ein Interview mit Marcel und Teofila Reich-Ranicki, das im Internet hier nachzulesen ist. Über "Mein Leben" Welch ein Leben. Marcel Reich-Ranickis Erinnerungen. Stimmen, Kritiken, Thomas Anz: Marcel Reich-Ranicki. München: dtv 2004 (dtv portrait). 188 Seiten, 10 EUR. 2005 erschien bei dtv: Mein Leben. Auswahlband für die Schule. Herausgegeben und kommentiert von Volker Hage. - Vgl. dazu den Artikel in der F.A.Z. vom 11. Mai 2005: "Seine Geschichte hat uns berührt" mit Reaktionen von Schülern auf das Buch. Resonanz und Entstehung - Eine Rezension - Hinweise - Verfilmung Verfilmung "Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben"
Regisseur Dror Zahavi inszenierte den WDR-Fernsehfilm "Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben", der am 15. April 2009 um 20.15 Uhr im Ersten Deutschen Fernsehen (ARD) und am 10. April 2009 auf ARTE gesendet wurde. Matthias Schweighöfer spielt die Hauptrolle, Katharina Schüttler seine Ehefrau "Tosia". Das Drehbuch schrieb Michael Gutmann. Produzentin des Films ist Katharina M. Trebitsch. Der Film ist eine Koproduktion der Trebitsch Entertainment GmbH mit dem Westdeutschen Rundfunk Köln (federführend) sowie ARD Degeto und ARTE. Der Film wurde gefördert von der Filmstiftung NRW, dem Medienboard Berlin-Brandenburg und der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein. Zur Pressepremiere in Hamburg und zur Kinopremiere am 18. März in Köln sind erste Filmkritiken erschienen: Weitere Artikel zum Film: Volker Hage: Glücksfall des Schicksals (Der Spiegel, 6.4.2009) Ijoma Mangold: In der Sonderblase. Die Verfilmung von Marcel Reich-Ranickis Autobiografie "Mein Leben" macht den Exzentriker zum Streber (Die Zeit, 8.4.2009) Claudia Tieschky: Filmbiographie: Marcel Reich-Ranicki. Bevor der Kragen platzte (Süddeutsche Zeitung, 8.4.2009) Im Gespräch: Marcel Reich-Ranicki. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht ans Getto denke [Reich-Ranicki und Peter von Matt im Gespräch mit Michael Hanfeld und Felicitas von Lovenberg] (F.A.Z., 9.4.2009) Johannes Gernert: Der andere Marcel Reich-Ranicki (stern.de, 10.4.2009) Eckard Fuhr: Marcel Reich-Ranickis Leben ist die Literatur (Die Welt, 10.4.2009) Über Reich-Ranickis Anteilnahme an der Entstehung und der Sendung des Films erzählt detailliert die Neuauflage von Uwe Wittstocks Biograpfie ( Marcel Reich-Ranicki. Die Biographie. Blessing Verlag, München 2015. S. 356-367.) Letzte Änderung: 5.5.2015 |
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