Frankfurter Anthologie Beispiele Aus der "Frankfurter Anthologie", Bd. 19 (1996), S. 39-43. Daniel Casper von Lohenstein Umschrift eines Sarges Irdisches und Sterblich
Volk, lebend-tote
Erdengäste, Setzt euch Säulen
von Porphyr, mauert
euch aus Gold Paläste, Aber wißt, wann
das Verhängnüs euer
Lebensgarn reißt
ab, Tausend, tausend
sind gewest, die
mich nicht erlangt
noch haben, Wulf Segebrecht Hier spricht der Sarg Was sich hier als Sonett zu erkennen gibt, das hat sich der spätbarocke Dichter Lohenstein als "Umschrift eines Sarges" gedacht, als eine Inschrift also, die nur derjenige lesen kann, der um einen aufgebahrten Sarg herumgeht und die an ihm angebrachte Schrift Schritt für Schritt entziffert. Es sind die Trauergäste, die von dieser "Umschrift" als Leser vorausgesetzt und direkt angesprochen werden. Das ganze Gedicht, bis auf die beiden Schlußzeilen, erweist sich als eine derb-drastische Anrede an die Trauergesellschaft, als eine böse Publikumsbeschimpfung. Denn angesichts des Sarges müssen sich die Hinterbliebenen schon einige unbequeme Wahrheiten sagen lassen: Sie sind nur noch scheinbar am Leben, müssen sie da lesen, sie sind gleichsam Fehlgeburten ("Verwürflinge") und Gespenster, Illusionisten und Narren. Jedenfalls werden sie erbarmungslos mit der ganzen Scheinhaftigkeit und Nichtigkeit ihrer Existenz, mit der Vordergründigkeit aller ihrer Bestrebungen konfrontiert: Das wissenschaftliche Renomee, die gesellschaftliche Anerkennung, der künstlerische Ruhm und der materielle Reichtum, dem sie nachjagen, sind eitel und also vergänglich; die Bücher und die Kunstwerke, die Ehre und das Kapital haben keinerlei Bestand, alles Schöne, Gute, Wahre und Ertragreiche verbürgt, soweit es nur irdisch ist, keine Dauer. Der Tod macht alle Bemühungen der Menschen zunichte, sich mit irdischen Werken und Werten unsterblich zu machen. Er setzt aber nicht nur das Gesetz der Vergänglichkeit durch, er ist auch der große Gleichmacher: Mehr als den Sarg und das Totenhemd, das auch die bloße Haut sein kann, beläßt er niemandem. Abermals wird hier also die große Mahn- und Bußlitanei vom Memento mori und Respice finem angestimmt, die die Literatur des Barockzeitalters so kraftvoll wie unablässig durchzieht. Das Gedicht hat aber am Ende für die Leser doch noch eine Überraschung parat. Denn hier ist kein Bußprediger am Werk. Hier spricht der Sarg. Und der begnügt sich nicht damit, diejenigen, die um ihn herumgehen, nur gebührend zu erschüttern durch die übliche Konfrontation ihrer bisherigen Lebensweise mit der unübersehbaren Tatsache des unausweichlichen und konkreten Todes, die er repräsentiert; der Sarg entlarvt vielmehr am Ende seine eigene Scheinhaftigkeit. Denn der aufgebahrte, wohlausgestattete, möglicherweise auch noch mit einer kostbaren und nachdenkenswerten "Umschrift" versehene Sarg ist selbst ein Privileg, das bei weitem nicht jeder für sich in Anspruch nehmen kann. Der Sarg ist das Relikt eines überwindungsbedürftigen Denkens. Noch in dem Brauch, den Verstorbenen eine würdige, ehrenvolle, kostbare letzte Ruhestätte zukommen zu lassen, kommt das irdische Bestreben zum Ausdruck, der Vergänglichkeit Einhalt zu gebieten, sie aufzuheben. In dem kultischen Gegenstand des Sarges, so traurig und umkehrbereit er seine (sündigen) Betrachter im übrigen auch stimmen mag, ist immer noch der letzte Erdenrest eines Glaubens daran zu erkennen, daß Unvergänglichkeit durch irdische, materielle oder ideelle Werte hergestellt und gesichert werden könne, beispielsweise durch den Sarg und das ganze irdische Beiwerk der Beerdigung. Auch diese letzte Illusion aber gilt es zu überwinden. Der Sarg als Sprecher des Gedichts hebt sich am Ende als vermeintlich letzte Instanz selbst auf. Dem Leser bleibt nichts anderes mehr übrig als der ungeschönte Tod. Lohensteins "Umschrift eines Sarges" schreibt und wertet die konventionellen Formen des Umgangs mit dem Tod entschieden um, und sie setzt die Lebenden auf diese Weise dem unaufhebbaren Tod erst eigentlich und wirklich radikal aus. |
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